Vor vielen Jahren so etwa Ende des 19. Jahrhunderts ging
eine alte Frau aus Ulfen in das Rendaer Tal um dort Streu
zu sammeln. Streu, das war getrocknetes Gras und
getrocknete Blätter, die am Wegrand lagen. Sie
dienten seinerzeit dazu, den Tieren in
den Ställen ein weiches Nachtlager zu be-
reiten. Das Stroh wurde damals noch als
Futter benötigt.
Das Rendaer Tal ist ein schmales, ringsum von den
Höhen des Ringgau umgebenes Tal nordöstlich von
Ulfen, unterhalb des Weges nach Renda. Die Frau war
schon einige Zeit damit beschäftigt Streu zu sammeln
und auf kleine Häufchen zusammen zu tragen,
als sie plötzlich von einer Anhöhe,
etwa in Höhe des Weges nach Renda
ein Rufen hörte. Als sie nach oben schaute, bemerkte
sie, dass dort ein Schäfer seine Herde hütete.
Er rief ihr zu, sie solle schnell das Tal verlassen und zu ihm auf die Anhöhe kommen. Die Frau sah sich nach allen Seiten um, konnte aber keinen Grund erkennen ihre Arbeit zu verlassen und zu dem Schäfer auf die Anhöhe zu steigen.
Sie ging weiter ihrer Arbeit nach, doch der Schäfer gab keine Ruhe, er rief laut und gestikulierte mit den Händen. Er rief sie befände sich in großer Gefahr und solle schnell das Tal verlassen. Obwohl die Frau noch immer keine Gefahr erkennen konnte folgte sie der Aufforderung des Schäfers und stieg hinauf auf die Anhöhe.
Als sie hier ankam, sah sie, dass sich über dem Ringgau ein starkes Gewitter zusammengebraut hatte. Da jedoch das Rendaer Tal so eng ist, konnte sie dies von unten nicht erkennen. Schon nach wenigen Minuten tobte ein heftiges Unwetter, der Donner grollte, die Blitze zuckten und ein Wolkenbruch ging über dem Ringgau nieder.
In nur wenigen Minuten hatte sich das zuvor ausgetrocknete Bachbett des "Alte Weißt" der durch das Rendaer Tal fließt bis über die Ufer gefüllt. Der Bach wurde zum reißenden Fluss und riss alles mit was ihm im Wege lag. Mit Brausen und Toben schob sich die Flutwelle Ulfen entgegen. Auch die zusammengetragene Streu wurde von den Wassermassen weggespült. Die alte Frau aber ärgerte sich nicht darüber, sie bedankte sich bei dem Schäfer, da ihr dieser durch seine Hartnäckigkeit das Leben gerettet hatte.
Wäre der Schäfer nicht gewesen, so wäre die alte Frau mit Sicherheit in den Wassermassen des "Alte Weißt" umgekommen. Erzählung einer älteren Frau, die der Verfasser im Jahr 2000 bei Nachforschungen nach dem Kroatentisch in Ulfen besuchte.