Nur einer blieb zurück mit seiner kleinen Herde Schafe, der
alte, graue Dorfhirt, der keinen Spieß und kein Schwert
mehr tragen konnte. Mit seinem treuen Hunde hütete
er seine Schafe und wartete Tag und Tag auf die
Rückkehr seiner Dorfgenossen. Keiner
kehrte zurück. Einsam und allein blieb der
Hirte bei seinen Schafen, die er nicht ver-
lassen wollte. Noch hauste er einige Jahre
in seinem kleinen Hirtenhause und wartete auf sein
Ende. Leer standen die Häuser des Dorfes und verfie-
len immer mehr. Unheimlich lagen sie da, und Grausen
ergriff den Wanderer, der seinen Fuß in das untersinkende
Dorf setzte. Bald nisteten die Vögel des Himmels in
den Bauernstuben, und Ratten und Mäuse übten
ihr Zerstörungswerk. Wohl blühten noch
im Frühling in den öden Gärten einige
Bäume und Blumen; aber unaufhaltsam fraß die Zer-
störung um sich.
Wo Menschenhand gearbeitet hatte und der Menschen Fuß geschritten war, wo Menschenstimmen erklungen und Menschenworte gesprochen waren, da herrschte jetzt Stille, Totenstille, das Grauen der Verlassenheit. Nur der alte Hirte blieb als Lebendiger an der Stätte des Verfalles, und sein treuer Hund folgte ihm auf Schritt und Tritt.
Alt und -lebensmüde sank er abends auf seine Ruhestätte, behütet und bewacht von der Treue seines Hundes. Solange er noch bei Kräften war, ging er morgens und abends hinüber in das kleine Kirchlein, das baufällig auf der Dorfhöhe stand, und läutete das Glöcklein, das wimmernd und klagend seine Stimme erschallen und den Nachbardörfern Renda, Grandenborn und Ulfen seine Totenklage hören ließ.
Als man in Grandenborn schon einen oder zwei Tage das Glöcklein nicht mehr gehört hatte, ahnte man, dass in Hochhausen etwas besonderes geschehen sein musste. Man ging hinüber und fand den Hirten tot auf seinem Lager. Zu seinem Haupte saß frierend, hungernd, zitternd das treue Tier, und draußen blökten angstvoll die Schafe nach ihrem Hirten. Man trieb die Schafe nach Grandenborn. Der Hund aber ließ sich trotz Locken und guter Worte nicht bewegen, sein Wächteramt an dem Totenlager aufzugeben. Am anderen Mittag begrub man den letzen Hochhäuser auf dem Friedhof, der nun für immer geschlossen wurde. Der Pfarrer von Grandenborn sprach zu den wenigen Leuten, die das letzte Grab von Hochhausen umstanden, über die Worte vom "guten Hirten". Er schloss seine Leichenrede mit den Worten: "Nun verlassen wir diese Stätte, wo wir den letzten Hochhäuser begraben haben. Wo einst ein Dorf mit lebenden Menschen gestanden hat, da wird ein Platz sein, wo die Zerstörung, der Verfall, der Untergang ist. Ja, die Welt vergeht mit ihrer Lust. Wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit !"
So begrub man den letzten Toten von Hochhausen, Hier könnte unsere Geschichte enden. Aber es sei noch ein rührender Nachtrag angeschlossen ! Noch nach Wochen und Monaten lag der treue Hund auf seines Hirten Grab und verließ es nur, um seinen Hunger und Durst zu stillen. Dann starb auch er, der, ein unvernünftiges Tier, doch eine hohe Eigenschaft besaß - die Treue ! So hat noch zuletzt im Untergange über Hochhausen die Treue gewacht, und darum ist für uns dieses Dorfes Schicksal besonders herzergreifend.
Wer heute von Grandenborn nach Renda geht und statt der Landstraße den Fußweg abseits benutzt, dessen Fuß schreitet an der Stätte vorüber, wo Hochhausen lag. Man sieht kein Haus und keine Mauer mehr. Auch das Kirchlein ist längst verschwunden. Es hat am längsten dagestanden, als ein stummer Zeuge der Vergangenheit. Noch lange, so erzählen sich die Ringgauer, sei am Abend das Glöcklein vom Winde bewegt erklungen, bis es im Jahre 1626 die Kroaten geholt und eingeschmolzen hätten, als sie die Boyneburg belagerten und Grandenborn und Renda verwüsteten. Noch heute geht die Sage durchs Land, dass der Wanderer, der in mitternächtlicher Stunde dort vorübergeht, ganz fein und klagend einen Glockenton vernehme und einen wimmernden Ton höre wie das leise Gebell eines Hundes.