Man schrieb das Jahr 1634. Die Ernste war geborgen und
der Spätherbst herbeigekommen. Adventsglocken läu-
teten durchs Land. Die stillen Wintermonate kamen
näher, und Feld und Wald sanken allmählich in
ihren Winterschlaf. Unruhig aber waren
die Herzen, und ein banges Fragen ging
leise von Mund zu Mund. In gespannter
Erwartung harrte man in Ulfen und den
Nachbardörfern der kommenden Dinge. Langsam
schlichen die trüben Novembertage dahin. Man lau-
schte auf jedes Gerücht. Die bange Frage beherrschte
alle Gemüter : Werden die Kroaten kommen oder nicht ?
Bisher waren diese unheilvollen, unwillkommenen
Gäste ferngeblieben. Man wußte noch, wie grausam
und unmenschlich sie im Jahre 1626
in den Nachbardörfern Grandenborn,
Renda, Datterode, Röhrda gehaust und wie schon-
ungslos sie sich an Mensch und Vieh, Hab und Gut vergriffen hatten. Auch erzählte man sich immer wieder von neuem, was die Dörfer in der Nähe von Eschwege, wie Reichensachsen und Hornel, an Kriegsnot ausgestanden hatten. Bis jetzt waren Dörfer wie Ulfen, Breitau, Wölfterode, Blankenbach, Süß und Nentershausen verschont geblieben, aber sie hatten das Verderben schon in greifbarer Nähe gespürt.
Nun flog die Kunde wie auf Flügeln durchs Land, daß die Kaiserlichen heranrückten und die Kroatenhorden Isolanis wieder nach Hessen hineinfluteten.
Ihre Rosse tränkten sie bereits an den Wassern der Werra. Wie Heuschreckenschwärme fielen sie über das Land her, um in kurzer Zeit alles kahl zu fressen. Schon leuchteten allabendlich schaurig lodernde Flammen brennender Häuser am Horizonte, die den Nachbardörfern das wüste Treiben der Mordbrenner ankündigten, durchstreiften einzelne Kroatenschwärme die Höhen und Täler des Richelsdorfer Gebirges, plünderten, brandschatzten und verbreiteten Angst und Schrecken unter der Bevölkerung. Zahlreiche Gerüchte von Gewalttaten und Schändlichkeiten an Mensch und Vieh, Weib und Kind, durchschwirrten die Luft und wurden von Dorf zu Dorf erzählt. In Ulfen wartete man in zitternder Erregung auf das Näherkommen der Gefahr. Noch hoffte mancher in der Stille, daß das Unwetter auch diesmal vorüberziehen werde. Diese Hoffnung sollte nicht in Erfüllung gehen.
Man riet und beriet, wie man sich verhalten wollte. Der Gedanke und Vorschlag einiger beherzter Männer, den Kroaten mit bewaffneter Hand entgegenzutreten und ihnen den Weg in Ulfetal zu versperren wurde schnell fallen gelassen, da man sich zu schwach fühlte und den Zorn der Kroaten nicht reizen wollte. Nur einige Vorsichtsmaßregeln wurden getroffen. Man richtete auf dem nahen Galgenberge eine Wache ein, die von dort aus die Straße nach Blankenbach beobachten und das Herannahen des Feindes rechtzeitig melden sollte. Man bestimmte, wohin man Pferde und Kühe eiligst schaffen wollte, um vor den Zugriffen der Räuber sicher zu sein; man hatte bestimmte Verstecke in den Wäldern und Schluchten ausgewählt, wohin Weib und Kinder, Greise und Kranke gebracht werden sollten, um vor den Gewalttaten möglichst geschützt zu sein. Auch einige Kostbarkeiten und Geldmittel waren bereitgestellt, um im gegebenen Augenblick gerettet zu werden. Ein kostbarer gotischer Abendmahlskelch, der, aus Straßburger Werkstätten stammend, im Jahre 1511 erworben war, ist damals ins Versteck gewandert und noch heute ein wertvolles Erinnerungszeichen an jene schweren Tage.
Es war am Montag der ersten Adventswoche, als plötzlich der Ruf vom Galgenberg herunter das Dorf durchflog: "Die Kroaten kommen." Soeben hatten die ersten Reiter Blankenbach verlassen und ritten nach Wölfterode und Ulfen hinab. Eine Panik erfaßte das Dorf: "Rette sich, wer kann !" Schnell werden Pferde und Kühe aus den Ställen geholt und den Wäldern zugetrieben. Eine dunkle Kunde nennt die Wälder am Hatzenbach, die Täler zwischen Petersberg und Rübenberg als Zufluchtsstätten. Eine andere Überlieferung gibt den Giesenhagen mit seinen Waldungen als Schlupfwinkel an. Wahrscheinlicher jedoch ist es, daß man damals das Rendaer und Grandenbörner Tal und die Waldungen von Rittersburg und Holzhausen zum Versteck gewählt hat, weil ja damals die Hauptstraße von Ulfen durch den Hatzenbach über Lindenau und Welda* nach Sontra führte und von vornherein anzunehmen war, daß die feindlichen Scharen auf dieser alten Verbindungsstraße Sontra überfallen würden, wie es auch in der Tat geschehen ist.
* Welda war - nach alten Chroniken - ein "Hof in der Gemeinde Sontra". Nach 1747 gehörte es dem Geschlecht der von Biedenfeld. Am 23. März 1805 ging das Lehen über an Philipp Ernst Frankenberg. Der Lehensbrief mit anhängendem Siegel des Kurfürsten Wilhelm I. befindet sich noch heute im Besitz der Familie Ruckert in Sontra, deren Eltern noch bis zum Jahre 1964 Besitzer des Gutes waren. Dann ging das Gut in den Besitz des Bundes über und es entstand auf diesem weiten Areal das Standortübungsgelände. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden noch auf dem idealen Wiesengelände die stark besuchten Sontraer Pfingst-Reitturniere veranstaltet.
Nur ein kleiner Teil der Bewohner blieb in Ulfen zurück und erwartete in Furcht und Zittern den Feind. Unter diesen Leuten war auch der Herbergswirt Hans Pippart und seine beiden Söhne Hans und Kurt. Ferner blieb der wackere Dorfschulze Hansjörg Lies auf seinem Posten. Es dauerte jedoch viel länger, als man annehmen mußte, bis die Kroaten erschienen. Sie hatten nämlich inzwischen den Hasengarten, die Blindemühle und die Rietmühle aufgesucht und in der Blindemühle vor allem furchtbar gehaust. Der Müller Kurt Fritzen und sein Sohn Hans wurden blutig geschlagen, als sie sich zur Wehr setzten, um wenigstens eine Kuh zu retten. Die Kroaten waren so unerwartet vor dem Hasengarten und der Blindemühle erschienen, daß die Bewohner nichts von ihrem Vieh zu retten vermochten.
Was für Schandtaten die Kroaten damals in der Blindemühle * verübt haben, ist uns nirgends sicher überliefert. Nach der mündlichen Überlieferung haben die Kroaten damals den Müller ergriffen und geblendet, Mutter und Tochter grausam geschändet, Haus und Hof durch Brandstiftung in einen Schutthaufen verwandelt. Bei dieser Gelegenheit muß sich der Sohn Hans an den Kroaten gerächt haben oder ihnen Rache geschworen haben, wie wir noch sehen werden. Jedenfalls haben die Kroaten damals einen Denkzettel bekommen; denn sie haben sich noch nach 10 Jahren an dem Müllerssohn blutig gerächt und ihn kurz vor Ende des Krieges erschossen. Fest steht auch, daß die Familie des Müllers Fritzen mit der Familie Pippart in Ulfen und auf dem Hasengarten eng befreundet war und Hans Fritzen der Bräutigam der Wirtstochter Pippart und einer der Pippartsöhne der Bräutigam der Müllerstochter war. Ob schon damals, wie gemeldet wird, Hans Fritz auf die Kroaten geschossen und einen Kroatenwachtmeister erschossen hat, bleibt dahingestellt. Jedenfalls war der blutige Knoten geschürzt, der für das Schicksal der drei Freunde so verhängnisvoll werden sollte.
Als die Kroaten den Hasengarten heimgesucht, die Blinde-Mühle zerstört und die Rietmühle ausgeplündert hatten, ritten sie nach Ulfen hinein. Schon vor ihrer Ankunft am Abend im Dämmerlicht hatte der Müllerssohn Hans Fritzen sich nach Ulfen geflüchtet und dort die Schandtaten erzählt, die an seinen Angehörigen verübt worden waren. Er suchte und bat um Hilfe für seinen schwerverwundeten Vater, der geblendet in der Nähe der Blindemühle lag. Nun wußte man in Ulfen, was man von den wütenden Kroatenhaufen zu erwarten hatte. Hans Fritzen eilte auf seiner Flucht zuerst noch in das Haus seines Schwiegervaters Pippart und erzählte dort in der Herberge was er Furchtbares erlebt hatte und verschwand dann im Dunkel der Nacht, um sein Leben zu retten; denn er wußte, daß die Kroaten kein Mitleid mit ihm haben würden. Auch die beiden Herbergssöhne Hans und Kurt verließen ihr Elternhaus und flohen mit ihrem Freunde. Sie schworen, Rache an den Kroaten zu nehmen.
Die Kroaten suchten nun in Ulfen nach dem Müllerssohne und hatten bald die rechte Fährte gefunden, die in die Herberge Pippart hineinführte. Sie Umstellten das Haus und die anderen Gebäude, durchsuchten jeden Winkel, aber sie fanden den Flüchtling nicht mehr. Wütend verlangten sie von dem Herbergswirt Aufklärung, wo Hans Fritzen geblieben sei und stießen furchtbare Drohungen gegen ihn und seine Familie aus, die sie mit Stumpf und Stiel ausrotten wollten. Der Wirt blieb fest und wußte in Wirklichkeit auch nicht, wo sich seine Söhne und sein Schwiegersohn versteckt hielten. Man band ihn und folterte ihn, um ein Bekenntnis zu erzwingen. Ein Kroatenoffizier hatte einen Säbel gezogen und drohte ihm den Kopf zu spalten, wenn er den Aufenthalt der Flüchtlinge nicht angeben würde, Zornig hieb er auf den Tisch der Gaststube, und tiefe Narben gruben sich in das harte Holz. Schließlich ließ man den Herbergswirt unter Bewachung in seinem Hause zurück und bezog ein Nachtquartier.
Am nächsten Morgen wurden die Nachforschungen von den Kroaten fortgesetzt. Man versammelte alle Leute, die zurückgeblieben waren, um sie auszuforschen. Man drohte, das ganze Dorf in Brand zu stecken, wenn man das Versteck der Gesuchten nicht angeben würde. Es war vergebens; denn niemand wußte etwas von ihrem Versteck. Da gab der Kroatenoffizier den Befehl, außer der Herberge Pippart, Kirche und Pfarrhaus und eine Reihe anderer Häuser in Brand zu stecken. Im Sontraer Kirchenbuch heißt es hierzu: "Ulffen 1635: Pfarrgebäw zu Olfen sind alle abgebrandt vom Feindt angestecket worden". Niemand durfte es wagen, den Brand zu löschen. Jammernd und wehklagend sahen die wenigen, zurückgebliebenen Ulfener, wie ein Teil des Dorfes in Asche sank. Auch die Flüchtlinge erblickten aus ihren Verstecken und Schlupfwinkeln den aufsteigenden Rauch und die lodernden Flammen und konnten doch nichts tun, als zornig die Hände ballen. Aber nicht nur am toten Eigentum vergriffen sich die Kroaten; sie schlugen und quälten und verwundeten die zurückgebliebenen Bewohner. Monatelang trieben sie nun ihr Unwesen; monatelang saugten sie das Dorf aus und ließen nichts mehr übrig.
Endlich im Mai 1635 schlug die Stunde der Befreiung. Die Kroaten verließen eines Tages Ulfen und die Umgebung und zogen fort aus der hessischen Heimat. Wie froh waren alle trotz aller Not und Traurigkeit, daß sie heimkehren durften. Wie hatte man in heißer Sehnsucht den Tag erwartet, wo man wieder in das Heimatdorf zurückkehren konnte! Aber wie sah es dort aus ? Haus und Hof, Küche und Keller verwüstet, zerstört, geplündert und ausgeraubt, Stube und Kammer, Bett und Tisch beschmutzt und verunreinigt. Gar mancher war auch der harten Winterkälte erlegen und draußen im Walde begraben worden. Mancher andere hatte sich ein schweres Leiden in der furchtbaren Not zugezogen. Über die Hälfte der Bewohner hatte der Kriegssturm verschlungen, und mancher Hof stand verödet, manches Haus verfallen. Von etwa 20 Bauernfamilien kehrten nur 8 zurück, und bei den Tagelöhnern und Handwerkern war es nicht anders. So hatte Ulfen seinen ersten und furchtbarsten Kriegssturm erlebt.
Was wissen wir noch weiter über das Schicksal und das Ende der drei Flüchtlinge, die die Kroaten suchten? Als die Kroaten die Vorbereitungen zum Abzug trafen und heimliche Boten den Flüchtlingen gemeldet hatten, daß der Tag des Abzuges vor der Tür stehe, beschlossen die drei Getreuen, den Kroaten doch noch einen Denkzettel zu verabreichen und sich für die Greueltaten zu rächen. Sie begaben sich in die Nähe der Blindemühle und suchten sich einen Platz aus, der vortrefflich geeignet war, ihren Plan auszuführen. Dort lagen sie hinter einer Hecke, dicht vor dem Keudelsberg und dem Walde auf der Lauer, um bei gegebener Gelegenheit ihren Rachedurst zu kühlen. Als die Kroatenhaufen mit Wagen und Raub, mit Kriegsgesindel und Weibervolk längst vorübergezogen und schon über Blankenbach gekommen waren erschienen zuletzt noch diejenigen, die sich am schlimmsten vergangen hatten. Es waren ein Kroatenoffizier, ein Wachtmeister und einige berittene Begleiter. Vor allem an dem Wachtmeister, der an dem Blute schuldig war, das in der Blindemühle vergossen war, wollten sie Rache nehmen. Und wie einst Tell vom Felsenverstecke her den Tyrannen Geßler erschoß, so traf hier den Kroatenwachtmeister die tödliche Kugel. Auch der Offizier wurde verwundet, aber er und seine Begleiter entkamen mit ihrem Leben. Nachdem die drei Getreuen ihren Racheplan erfüllt sahen, flohen sie auf die Höhe des Keudelsberges und warteten dort, ob die Kroaten zu ihrer Verfolgung und Bestrafung zurückkommen würden. Sie kamen diesmal nicht, aber sie kamen viele Jahre später und nahmen noch blutige Rache an den dreien, wie wir kurz erzählen wollen.
Der Kriegssturm brauste weiterhin verheerend durch die deutschen Gaue und suchte noch immer das Hessenland heim. Ulfen blieb auf Jahre hinaus verschont, und man fing an aufzubauen, was zerstört war, und zu heilen, was verwundet war. Auch unsere drei Getreuen Hans und Kurt Pippart und Hans Fritzen gingen wieder wie im Frieden ihrem Tagewerke nach. Sie heirateten ihre Bräute und gründeten eine Familie. Sie säten und ernteten und hofften auf das Ende der schrecklichen Kriegszeit. Hans Pippart erbte von einem Onkel den Baumbachschen Hof Hasengarten, und seine Familie erwarb später durch Ankauf diesen Hof zum vollen Eigentum. Sein Bruder Kurt blieb in Ulfen, wo er an der Seite seiner Müllerin einige ruhige Jahre verlebte. Er übernahm die väterliche Erbschaft und baute die zerstörte Herberge * wieder auf. Sie steht in veränderter Form noch heute. Auch der Tisch mit seinen Säbelnarben blieb erhalten und erinnerte an die Tage furchtbarer Not. Allzu großen Besuch wird in den Kriegsläuften die Herberge nicht gehabt haben, da die fahrenden Kaufleute die Unsicherheit der Straßen fürchteten. Auch der Müllerssohn Hans Fritzen konnte seine Mühle wieder aufbauen und beim Klappern seiner Mühle und beim Rauschen der Mühlwasser ruhige Tage verleben. Die Herbergstochter schaffte fröhlich als Ehefrau in Haus und Hof.
* Die "Herbe" in Ulfen. Einst führte die Nürnberger Straße, von Breitau kommend, mitten durch den Ort. Eine Ulfebrücke gab es noch nicht. Deshalb führte die Straße am anderen Ende des Ortes durch eine Furt. Kurz vor der Furt stand und steht die "Herbe" Herberge). Dieses Wirtshaus mit Herberge hatte in Anbetracht des Fuhrverkehrs und der Durchwanderer immer vollauf zu tun. Heute umgeht diese bedeutende Fernstraße mit dem starken Fernlastverkehr den Ort.
Doch kamen ihnen immer wieder Ahnungen und Warnungen, daß die frohen Tage für sie gezählt seien. Sie vermuteten mit Recht, daß die Kroaten sie nicht vergessen und bei passender Gelegenheit Rache an ihnen nehmen würden. Darum waren sie auf ihrer Hut und Fluchtbereit. In allen Dörfern ringsum wußte man von ihrem Racheakt an den Kroaten, und die Gefahr bestand für sie, daß sich in diesen wilden Zeiten irgendein Verräter und Aufpasser finden konnte, der im Dienst der Kroaten stand und ihnen Nachricht zutrug. Und was sie in bangen Träumen gedacht und in Gedanken hin- und herbewegt hatten, sollte sich an ihnen erfüllen.
Fast zehn Jahre waren dahingegangen, als eines Tages eine Schar berittener Kroaten wie aus den Wolken gefallen auf dem Hasengarten erschien und bei Nacht und Nebel den Hof umstellte und den aus dem Schlaf aufgeschreckten Hans in dem Augenblick erwischten, wo er durch die Hintertür in den nahen Wald entschlüpfen wollte. Wohl hatte Hans Pippart seit Jahren sehr wachsame Hund rings um den Hasengarten zu seiner Bewachung untergebracht, aber sie hatten in dieser Nacht versagt; denn ein Verräter hatte seine Hand im Spiele gehabt und die Hunde vergiftet. Gefesselt und gebunden wurde er auf ein reiterloses Kroatenpferd gesetzt und mit nach Ulfen genommen. Die Mehrzahl der Kroaten umstellte noch in derselben Nacht die Blindemühle, um Hans Fritzen zu fangen. Diesem gelang es aber durch einen Sprung aus dem Fenster und dadurch, daß er in eine stark versumpfte Wiese eilte, wohin im die Kroaten nicht folgen konnten, sein Leben diesmal noch zu retten. Sobald er seinen Fuß auf festen Boden setzen konnte, war er im nahen Walde verschwunden. Nun eilten die Kroaten nach Ulfen um Kurt Pippart in seiner Herberge zu fangen. Aber auch hier trafen sie ein leeres Nest an; der Vogel war entschlüpft; er hatte rechtzeitig Wind bekommen. Am nächsten Morgen wurde Hans Pippart der Prozeß gemacht und derselbe auf dem Friedhofe an der noch heute stehenden Mauer hinter dem Turm erschossen. Man schrieb den 3. November 1644. Die Kroaten verließen alsbald das Dorf und ritten wieder zu ihrem Heerhaufen zurück. Angst und Schrecken überfiel das Dorf, und tagelang zitterte man vor neuen Greueltaten. Im Kirchenbuche lesen wir: "Hanß Pipart so von kaiserlichen Soldaten erschossen, am 5. November 1644 gegraben".
Sein Bruder Kurt, der diesmal glücklich dem Tode entronnen war, verfiel auf Pfingsten 1646 der Rache der Kroaten. Pfingstglocken hatten soeben das liebliche Fest eingeläutet, und frisches Maiengrün schmückte Kirche und Altar. In der Morgenfrühe um 7 Uhr war es - der Pfingstgottesdienst hatte begonnen und die Abendmahlsfeier fand gerade statt - , als blitzschnell eine Kroatenschar durch das Dorf ritt, auf den Friedhof jagte und die Kirchentüren umstellte. Mitten aus dem Gottesdienst heraus und hinweg vom Tisch des Herrn wurde Kurt Pippart gerissen und gefesselt unter die Linde gebracht. Nach kurzer Verhandlung wurde er zum Tode verurteilt und trotz bitten und flehen seiner Frau und seiner Mutter auf dem Friedhofe an derselben Stelle erschossen, wo sein Bruder gestanden hatte. Die Urkunde im Totenbuch sagt kurz und deutlich: "Am 19. May 1646 Kurt Pipart, so uff Pfingstmontag von den Kaiserlichen uffm Kirchhoff erschoßen, begraben". Noch lange wird man sich in Ulfen von diesem Pfingstfeste und seinen Schrecken erzählt haben, bis die Kunde allmählich verstummte, und die mündliche Überlieferung dunkler und dunkler wurde.
Der Müller Hans Fritzen, den man an diesem Morgen ebenfalls in der Kirche vermutete, war zufällig mit seiner Frau aus dem Gottesdienst geblieben, und das sollte seine Rettung sein. Ehe die Kroaten ihn in seiner Mühle zu erwischen suchten, hatte ein Schäfer, der seine Schafe in der Nähe hütete, ihm ein Warnungszeichen geben können, und so entging er abermals dem sicheren Tode. Aber auch er sollte, ehe die Friedensglocken läuteten, doch noch den Kroaten zur Rache fallen.
Es war am 2. November 1647. Heftige Stürme brausten durchs Land; schwere Regenschauer, vom Wind gepeitscht, schlugen an die Fensterscheiben. Es war eine unheimliche Nacht. Das Mühlbächlein war zum brausenden Strome geworden und überflutete Weg und Steg. Ängstlich und zitternd kauerten die wachsamen Hunde des Müllers in ihren Winkeln und vergaßen im Toben der Elemente ihren Wächterdienst. Die Schicksalsstunde des Müllers schlug. Er hatte sich soeben zur Mühle begeben und das Mühlrad abgestellt. Sein Ohr horchte und lauschte in das Toben der Nacht und Brausen der Winde. Seine Augen spähten nach den rauschenden dunklen Wasserfluten, die unaufhaltsam zu Tale stürzten und heulend vorüberfluteten. Dann als er glaubte, daß ihm und der Mühle keine Gefahr drohte und er auch zu seiner Frau beruhigende Worte gesprochen hatte, legte er sich zur Ruhe. Kaum eingeschlafen, packten ihn harte Fäuste, und im Dunstlicht der Leuchten erkannte er seine Häscher. Jetzt wußte er, daß sein letztes Stündlein geschlagen hatte. Geknebelt und gefesselt ließen ihn die wilden Gesellen bis zum Morgen liegen und spotteten und höhnten, daß sie ihn doch gefangen hätten. Als der Sturm sich gelegt und der Regen nachgelassen hatte, brachte die Schar den armen Müller nach Ulfen. Er wurde an derselben Stelle erschossen, wo seine beiden Freunde und Leidgenossen auch ihr Leben hatten lassen müssen. Nach der kirchlichen Urkunde wurde er am 4. November 1647 begraben. Der Feind hatte seine Rache gekühlt und war auf Nimmerwiedersehen von dannen gezogen.
Wie wenig weiß man heute noch von diesen Ereignissen der Vergangenheit ! Wie schnell ist vergessen was einst war ! Wäre der Kroatentisch mit seinen Erinnernungsnarben nicht noch vorhanden gewesen, so wäre alles spurlos hinweggewischt bis auf die kurzen Einträge in den Kirchenbüchern. Die Tischplatte des Kroatentisches ist auch heute noch in Teilen in der ehemaligen Herberge, heute Hof Liese, vorhanden.
Die Blindemühle ist inzwischen dem Straßenbau zum Opfer gefallen, sie stand im Bereich der heutigen Kreuzung Ulfen - Blankenbach - Herleshausen - Nentershausen. Der Hof Hasengarten, der links der Straße von Ulfen nach Unhausen oberhalb der Fischteiche stand, ist dem Bagger zum Opfer gefallen. Auch das Gut Welda, daß in dieser Erzählung erwähnt wird ist von der Landkarte verschwunden. Es lag zwischen Sontra und Lindenau in dem Bereich wo die Panzerstraße die Husarenallee kreuzt und wurde im Zuge der Einrichtung des Truppenübungsplatzes abgerissen.
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